Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Jüdisch – christlich – geschwisterlich: Ohne die jüdische Tradition ist das Christentum nicht verstehbar

Eine Bibel – zwei Religionen

Christen hätten allen Grund, das Alte Testament als ehrwürdigen Ersttext zu begreifen. Doch oft setzen sie die hebräische Bibel in Kontrast zum Neuen Testament. Dabei ist das Christentum nur gemeinsam mit der jüdischen Glaubens- und Lebenswelt verstehbar. Das verdeutlicht der folgende Beitrag.

Die christliche Bibel besteht aus zwei Teilen: aus dem Alten Testament (im Original hebräisch) und dem Neuen Testament (im Original griechisch). Das Wort „Testament“ meint nicht „Vermächtnis“ („letzter Wille“), sondern „Bund“, „Bundesbuch“, weil in den heiligen Schriften vom Bund Gottes mit Israel und mit den Menschen die Rede ist.

„Alt“ gegen „neu“

Christen haben das Alte Testament lange Zeit als zweitrangig angesehen, als Vorstufe, dessen Gottesbild und Grundaussagen durch das Neue Testament überholt worden seien. In gewisser Weise geschieht dies immer noch, in Liedern, im katholischen Gottesdienst (bei der Lesung aus dem Alten Testament sitzt man, zum Evangelium steht man auf) und in religiösen oder theologischen Büchern, wenn zum Beispiel der christliche Glaube nicht im Zusammenhang mit der jüdischen Glaubens- und Lebenswelt dargestellt wird, in der er entstanden ist, sondern in Kontrast dazu.

Diskussion: Das Alte Testament haben die Christen weitgehend mit dem Judentum gemeinsam (bis auf einige zusätzliche Schriften und eine andere Reihenfolge der einzelnen Bücher). Im Judentum ist dafür der Ausdruck „Tanach“ gebräuchlich: eine Zusammensetzung der Anfangsbuchstaben der drei Hauptteile Tora (die sogenannten fünf Bücher Mose), Neviim (Prophetenbücher) und Chetubim (Schriften).

Dass Christen das Alte Testament nicht als ehrwürdigen Ersttext, sondern als Gegenstück zum Neuen Testament sehen lernten, geht in erster Linie auf den Einfluss von Markion (ca. 85–160 n. Chr.) zurück. Markion war zeitweilig Mitglied der christlichen Gemeinde in Rom und wollte als heilige Schrift der Christen anscheinend nur ein gekürztes Lukasevangelium, aus dem er sämtliche Bezüge auf das Alte Testament getilgt hatte, sowie einige Paulusbriefe gelten lassen. Markion war der Auffassung, das Alte Testament spreche von einem anderen, bösartigen Gott und habe nicht das ethische Niveau des Neuen Testaments mit seinem Gott der Liebe.

Zwar verurteilte die Christengemeinde in Rom Markions Abwertung der alttestamentlichen Schriften, dennoch blieb seine Verachtung des Jüdischen in der Kirche einflussreich – zumal Markion nicht der einzige mit dieser Einstellung war. Für viele Christen hatte das Alte Testament nur deshalb noch einen Wert, weil es manche Prophetenworte enthielt, die man auf Jesus von Nazaret beziehen konnte und in ihm „erfüllt“ sah.

Christen übersehen oft, dass das Alte Testament auch die Bibel Jesu war, aus der er lebte, die er zitierte und deren Psalmen er betete (ein Neues Testament gab es zu seiner Zeit noch gar nicht). Jesus lehrte, dass kein Häkchen an der Tora geändert werden dürfe (Mt 5,17f), dass sie aber ausgelegt und aktualisiert werden müsse. So dachten übrigens die meisten schriftkundigen Juden zur Zeit Jesu. Genauso Paulus: Er deutete Tod und Auferweckung Jesu mithilfe von Worten des Alten Testaments, beides war also „gemäß der Schrift“ (1 Kor 15,3f) geschehen. Auch die Botschaft, dass Jesus der Sohn Gottes war, war für Paulus „das Evangelium Gottes [...], das er durch seine Propheten vorher angekündigt hat in den heiligen Schriften“ (Röm 1,1f). Die Theologie von Paulus wäre ohne seine zahlreichen Bezugnahmen auf die jüdische Bibel undenkbar.

Übersetzungen der Schrift

Auch die anderen Autoren der neutestamentlichen Schriften waren Juden, und sie präsentierten ihre Gedanken als Auslegungen der jüdischen Bibel, des Alten Testaments. Für ihre Griechisch sprechenden Zuhörer oder Leser benutzten sie dabei griechische Übersetzungen der biblischen Texte, die seit dem 2. Jahrhundert v. Chr. von Juden für Juden erarbeitet worden waren, als das Griechische zur Hauptsprache in der Region wurde. (...) Im Judentum kamen diese Übersetzungen später wieder außer Gebrauch, als das Hebräische zur allein verbindlichen Sprache der Offenbarung erklärt wurde (...). Auch dies führte zu unterschiedlichen Auslegungstraditionen.

Perspektiven: Manche Christen nennen das Alte Testament heute lieber „Erstes Testament“ oder „Hebräische Bibel“, um dem Eindruck entgegenzutreten, dieser Teil der Bibel sei veraltet. Sie wollen festhalten, dass für Christen beide Teile der Bibel heilige Schrift sind und dass der zweite Teil ohne den ersten Teil gar nicht richtig zu verstehen ist.

Das betont auch die Päpstliche Bibelkommission: In ihrem Dokument Das Jüdische Volk und seine Heilige Schrift in der christlichen Bibel heißt es: „Die Schriften des Neuen Testaments geben sich an keiner Stelle als etwas grundlegend Neues aus. Sie erweisen sich vielmehr als tief in der langen Glaubenstradition Israels verwurzelt.“ (Nr. 3) Daher gilt: „Ohne das Alte Testament wäre das Neue Testament ein Buch, das nicht entschlüsselt werden kann, wie eine Pflanze ohne Wurzeln, die zum Austrocknen verurteilt ist. Das Neue Testament erkennt die göttliche Autorität der Heiligen Schrift des jüdischen Volkes an und stützt sich auf diese Autorität.“ (Nr. 84)

Aus: Paul Petzel/Norbert Reck (Hrsg.), Von Abba bis Zorn Gottes. Irrtümer aufklären – das Judentum verstehen, Verlag Patmos, Ostfildern 2017; eine aktualisierte Neuausgabe ist für 10 Euro erhältlich (ISBN 978-3-8436-1355-2).

Zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ veröffentlicht das Sonntagsblatt unter dem Titel „Jüdisch – christlich – geschwisterlich“ Artikel in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Bibelpastoral in der Diözese Würzburg. Die Texte beleuchten antijüdische Klischees oder Vorurteile aus biblischer Sicht, um Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Mehr Infos zum Festjahr online unter „2021jlid.de“ und „www.juedisch-beziehungsweise-christlich.de“.