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Jüdisch – christlich – geschwisterlich: Was die Bibel unter Erwählung und Berufung versteht

Den Bund mit Gott geschlossen

Was bedeutet es, dass sich das Volk Israel in der Bibel als von Gott erwählt sieht? Folgt daraus eine privilegierte Stellung aller Juden, die sie von anderen Menschen trennt? Die Erwählung Israels hat über die Jahrhunderte christliche Theologen beschäftigt – und wurde von ihnen oft in Konkurrenz zur christlichen Erwählung verstanden. Doch die Bücher des Alten Testaments sehen in der Erwählung nichts Trennendes. Das belegt der folgende Beitrag.

„Denn ein heiliges Volk bist du dem Ewigen, deinem Gotte. Dich hat der Ewige, dein Gott, erwählet, ihm als Volk ein teures Eigentum zu sein, aus allen Völkern ein Sonderguts- Volk zu sein“ (Deuteronomium 7,6 nach der Übersetzung des Rabbiners und Philosophen Ludwig Philippson von 1844).

Christliches Unverständnis

Schon viele Kirchenväter meinten, die Erwählung Israels sei auf die Kirche übergegangen, nachdem Israel Jesus als Messias nicht anerkannt hatte. Moderne christliche Theologen warfen dem Judentum zudem vor, es pflege einen ethnischen Partikularismus, das heißt einen Glauben an die Sonderstellung des eigenen Volkes. Dieser Partikularismus sei aber mit dem Aufkommen des christlichen Universalismus erledigt gewesen.

Diskussion: Ein Erwählungsbegriff, der Heil und Erlösung nur auf eine erwählte Gruppe beschränkt (wie ihn die Kirche lange mit dem Satz „extra ecclesiam nulla salus“ – „außerhalb der Kirche kein Heil“ – vertreten hat), muss klar vom biblischen Verständnis unterschieden werden. In der Bibel findet man sowohl die Erwählung von Personen (...) als auch die Erwählung des Volkes Israel. Übersehen wird oft, dass auch Personen außerhalb Israels erwählt werden können, wie etwa der Perser Kyros (Jesaja 41,1–5. 25f), den Jesaja 45,1 sogar als Gottes Gesalbten (Messias) bezeichnet. Bekannter ist die Erwählung/Berufung des Mose in Exodus 3,1–20, aber auch schon die Verheißung an Abraham in Genesis 12,1–3, dessen Nachfahren zu einem großen Volk werden sollten. Mit eben jenem Volk schließt Gott einen Bund: Es soll ihm ein „Königreich von Priestern“ (Exodus 19,6) und „Eigentum“ (segulah) sein.

Wie im Buch Deuteronomium immer wieder eingeschärft wird (vergleiche Deuteronomium 7,7), hat Israel von sich aus nichts vorzuweisen, was die Erwählung begründet. Sie ist kein Verdienst und sie lässt sich auch nicht einfordern. Erwählung gründet nach Deuteronomium 7,8 vielmehr in Gottes Liebe sowie in seiner Treue zu den Verheißungen an Abraham, Isaak und Jakob. (...) Im Alten Testament beinhaltet Erwählung (...) aber auch den Auftrag an Israel, in der Partikularität, das heißt in der Herausgehobenheit, sichtbar zu machen, was es heißt, ein Leben im Angesicht Gottes zu führen, das heißt den aufrechten Gang (Levitikus 26,13) zu lernen, Freiheit und Gerechtigkeit zu praktizieren. Die Tora mit ihren grundlegenden Erzählungen, ethischen und kultischen Regeln ist die Urkunde von Bund und Erwählung. Sie greift indessen schon mit Schöpfung und Noach-Bund über Israel hinaus und unterstreicht so, dass Israels Erwählung kein Privileg gegenüber den anderen Völkern bedeutet, sondern eine Aufgabe stellvertretend für sie.

Völker erwählt

Aber auch andere Völker haben nach Jesaja 19,25 „ihre“ Erwählung und besondere Stellung vor Gott. So wird Gott Ägypten segnen und es „mein Volk“ nennen, und Assur, das immerhin einen brutalen Eroberungskrieg gegen das Nordreich Israel führte, ist „das Werk meiner Hände“. Schließlich werden auch die Völker, wie Jesaja 2,3 und Sacharja 8,20–22 versichern, zum Zion pilgern und ihre „Lehre“ erhalten. (...) Perspektiven: Reformjüdische Denker verbinden mit der Erwählung eine Art „Avantgardefunktion“ Israels beziehungsweise des Judentums. Diese Deutung schließt eine besondere Verpflichtung, jedoch keine privilegierte Stellung ein und tritt so christlichen Vorurteilen entgegen: Im Partikularen (besonderen Einzelfall) wird die universale (allgemeine) Bestimmung aller Menschen sichtbar.

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erkennen die christlichen Kirchen daher die einzigartige Erwählung Israels und seine besondere Berufung durch Gott an, ohne die eigene Erwählung und Berufung zu negieren. Ein Urteil über das unbedingte Erwählungsbewusstsein der Anderen steht nur Gott zu.

Aus: Paul Petzel/Norbert Reck (Hrsg.), Von Abba bis Zorn Gottes. Irrtümer aufklären – das Judentum verstehen, Verlag Patmos, Ostfildern 2017; eine aktualisierte Neuausgabe ist für 10 Euro erhältlich (ISBN 978-3-8436-1355-2).

Zum Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ veröffentlicht das Sonntagsblatt unter dem Titel „Jüdisch – christlich – geschwisterlich“ Artikel in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Bibelpastoral in der Diözese Würzburg. Die Texte beleuchten antijüdische Klischees oder Vorurteile aus biblischer Sicht, um Perspektiven für die Zukunft aufzuzeigen. Mehr Infos zum Festjahr online unter „2021jlid.de“ und „www.juedisch-beziehungsweise-christlich.de“.